– und vom Mut, ein Mensch zu sein*)
Sophie Cau – Gerhard Luhn – Gerald Hüther
Das Osterfest ist vorbei und der Alltag hat uns wieder. Zugegeben, einige sind noch auf Mallorca oder ärgern sich, dass eine nur schwer greifbare Vormundschaft ihnen das Reisen verbietet.
Und richtig, diese Vormundschaft ist immer mehr im täglichen Leben spürbar. Dennoch möchten wir auch im Namen der vielen, die sich unermüdlich und wahrhaftig für unser Wohlergehen einsetzen, eine gute Nachricht verbreiten und gleichzeitig um Mithilfe bitten. Versetzen wir uns dazu in die Lage unserer Kinder. Wir leben nun 1 Jahr mit Corona – aber etwa zehn Jahre des Erlebens im Erwachsenenalter entsprechen einem Jahr im Kindesalter. Oder anders herum: für unsere Kinder dauert die Corona-Periode inzwischen gefühlte zehn Jahre.
In dieser Erlebensperspektive unserer Kinder kommt das zum Ausdruck, was wir berichten möchten. Denn sie sind durch eine Offenheit geprägt, die auch den Kern unseres Mensch-seins auszumachen scheint. Unsere Kinder sind beides: sie sind „berührungsfähig“ und „offen“ in einer Weise, die wir uns im Erwachsenenalter immer erfolgreicher abtrainieren. Mit dem Ergebnis, dass für viele das eigene Ego immer dominanter wird.
Die gute Nachricht ist nun, dass sich mutige Menschen genau dadurch auszeichnen, eben nicht durch „Kampfesmut“ zu brillieren, sondern sich tief innerlich öffnen zu können und damit natürlich auch verletzbar zu machen. Erst, wenn wir uns berührbar machen, gehen wir mit unseren Bedürfnissen und auch denen unseren Mitmenschen anders um. Dazu müssen wir jedoch den Panzer der zur Angstbewältigung in unserem Gehirn verankerten Lösungen beiseiteschieben. Solcher Mut hat weniger mit „haben und erreichen Wollen“ sondern vielmehr mit „da sein und sich verschenken Können“ („Liebe, Zuneigung, Freundschaft“) zu tun – genau wie bei unseren Kindern.
Hoffnung kann uns dabei geben, dass die Neurowissenschaft immer mehr die Natur dieser Zusammenhänge erkennt. Neuerlich gehen wir noch einen Schritt weiter. Denn es zeigt sich immer deutlicher, dass unser Empfinden für unsere Gemeinschaft, ja sogar unser Empfinden für das, was wir als „Wahrheit“ bezeichnen, durch diese Berührungsfähigkeit erst entsteht. Die Persönlichkeit und auch die Würde unserer Mitmenschen erfahren wir zuvörderst durch „Berührung“.
Das alles läuft ziemlich konträr zu unserem derzeitigen Weltverständnis. Denn in diesem Weltverständnis kommt eine solche Berührungsfähigkeit gar nicht vor. Dennoch lässt sie sich entdecken, und zwar ganz am Grunde allen Lebens.
Wir stehen derzeit an einem Wendepunkt, vielleicht sogar an einer Zeitenwende. Ängste und Nöte nehmen allerorten zu. Wir selbst neigen dazu, zunächst die Mauern unseres eigenen Ego zu erhalten. Weil wir es nicht anders gelernt haben. Aber wir können es anders lernen. Unsere Bitte ist, es unseren Kindern gleichzutun. Sie können das noch. Also, gönnen wir uns eine – Atempause.
*) Die ist eine Zusammenfassung eines in Vorbereitung befindlichen Beitrags: Hüther / Luhn: EXODUS – vom Mut, ein Mensch zu sein, Sommer 2021